Traueransprache

Traueransprache am 8.1.2002

(Pastor Wilhelm  Bösemann)

.......

Hört an, was der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Römer im 8.Kapitel:

Ich bin überzeugt, daß die Leiden der gegenwärtigen Zeitnichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja der Vergänglichkeit unterworfen. Nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat. Aber zugleich gab er ihr Hoffnung. Auch die Schöpfung wird frei werden von der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstigt. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist der Erstlingsgabe haben, seufzen in unserem Herzen und sehnen uns nach der Kindschaft der Erlösung unseres Leides. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung. Denn wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht. Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen. Dann harren wir aus in Geduld.

.......

Liebe Familie Dethlefs, und wir denken jetzt auch besonders an die betagte Mutter, die nur in Gedanken an diesem Trauergottesdienst für ihren Sohn Martin teilnehmen kann, liebe Trauergemeinde!

Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. Römer 8, Vers 19. So die Überschrift über der Todesanzeige für Martin Dethlefs, in der Lesung haben wir eben gehört, in welchem Zusammenhang dieses Wort im 8.Kapitel des Römerbriefes steht. Es ist der Abschnitt, in dem Paulus von der Hoffnung auf die Erlösung der Welt schreibt. Auch die Schöpfung, so der Apostel, wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Mit andern Worten: im Reich Gottes, im Himmelreich, wird es nicht nur Menschen geben, auch die Tiere werden vor Gottes Thron stehen, um ihm die Ehre zu geben. Und auch für sie wird es dort weder Schmerzen noch Tränen noch Leiden geben. Wie lange wird es noch dauern, das sehnsüchtige Warten der Schöpfung? Wie lange noch, bis der Mensch endlich die Natur schont, bis die indianischen Völker Lebensrecht auf dieser Erde erhalten, bis wir den Markt, den Kapitalismus bändigen? Was müssen wir reden, und, bezeugen, in der Kirche, der Mission, damit Wirklichkeit werden kann, was Paulus uns ins Stammbuch geschrieben hat. Fragen, die Martin Dethlefs bis zuletzt in seinem Innersten bewegt haben, mit denen er uns konfrontiert hat und uns, u.a. in dem Nachwort zu seinem Brasilienbuch, hinterlassen hat. So redet er noch, obwohl er gestorben ist. Gestorben, weil diese schlimme Krankheit, der Krebs, doch stärker war, als seine Liebe zum Leben und sein Lebenswille. Sie hat euch den Ehemann, den Vater, den Großvater, den Sohn und den Bruder und Schwager genommen und vielen von uns den Freund, den Mitstreiter, den Lehrer, den Mitbruder und Kollegen. Aber das, was er euch und vielen von uns gewesen ist, das wir von ihm gelernt, neu sehen und hören gelernt haben, das bleibt, dafür sind wir dankbar.

Zuerst ist da ja aber doch der Schmerz. Und es ist die Trauer, die das Herz schwer macht. Der Schmerz der Mutter über den Verlust des Kindes und die Trauer derer vor allem, die als nächste Angehörige während eines großen Zeitraumes ihres Lebens alles mit ihm geteilt haben. Auch wenn das Sterben am Ende einer langen Krankheit ja so etwas wie Erlösung bedeutet, spüren wir das Alleinsein und die Leere an unserer Seite, nagt der Abschied an unseren Herzen, bleibt bei aller Liebe, die uns unsere Mitmenschen entgegenbringen, und bei allem Mut und bei aller Lebenszuversicht der Schmerz. Wie gut, wenn wir dabei

wissen können, daß da einer ist, von dem uns die Kraft zufließt, die wir brauchen für die nächsten Schritte, daß da ein Gott ist, der hilft.

Die letzten Monate seit dem Sommer waren für Martin und auch für Sie, liebe Frau Dethlefs, in besonderer Weise geschenkte Zeit gewesen. Damals, als es ihm lange Zeit ganz schlecht ging, als dunkle Träume ihn bedrängten, und kaum mehr damit zu rechnen war, daß er noch einmal neue Kräfte bekommen könnte, müsse er, so sagten Sie, in seiner großen körperlichen Schwäche etwas erlebt haben, was ihn verändert, ja wohl getröstet, getroster gemacht hat. Abendlieder mit Kindern zum Zu Bett bringen zu singen hat er in der Folgezeit niedergeschrieben mit der Einleitung: „Hat Mutter (Dirks Großmutter, Lenas und Julias Urgroßmutter) uns Kindern zum Einschlafen gesungen, als wir klein waren.“ Und dann folgen die Lieder „Müde bin ich, geh zur Ruh’“, „Breit aus die Flügel beide“, Weißt du, wieviel Sternlein stehen...?“, „Nun wollen wir singen das Abendlied und beten, das Gott uns behüt...“, „Der Mond ist aufgegangen.“ Den Anstoß, sich dieser Lieder zu erinnern, hat wohl ein Freund gegeben, als er bei seiner Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Martin Dethlefs am 1.3. vorigen Jahres das „Weißt du wieviel Sternlein stehen...“ zitierte und es eine versteckte Aussage von der Liebe Gottes nannte. In seinem letzten Rundbrief schreibt Martin: „Ich singe dies Lied z.Z. jeden morgen. Und es bekommt mir gut. Ein anderes wäre: Breit aus die Flügel beide, oh Jesu, meine Freude, und nimm dein Küchlein ein. Will Satan dich verschlingen, so laß die Englein singen. Dies Kind soll unverletzet sein.“

Martin Dethlefs ist mit seinen drei Geschwistern, einem Bruder und zwei Schwestern, ein weiterer Bruder ist im Alter von wenigen Monaten gestorben, in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Geboren war er seinen Eltern Martin und Gretlies Dethlefs am 17.Oktober 1935 in dem kleinen Moordorf Posthausen. Schon als Kind durchstreifte und erkundete er gern die Natur seiner Umgebung. Als Schüler war er im Vogelschutzbereich aktiv. Sein ursprünglicher Berufswunsch, Förster zu werden, konnte sich jedoch nicht verwirklichen. Er hatte dann, nach dem in Bremen abgelegten Abitur Germanistik und Theologie studiert und ist von 196o an, dem Jahr, in dem Sie auch geheiratet haben, Realschullehrer in der Elbmarsch-Realschule in Lüdersburg-Scharnebeck gewesen. Dort hat er sich neben seinem Beruf in der Jugendarbeit engagiert und hat Orgelgespielt. Er war gern Lehrer. Und viele seiner Schüler haben ihn wohl gern gemocht und sind ihm dankbar. Aber eins sei ihm, so ließ ich mir sagen, immer schwergefallen, das Zensurengeben. Und so folgte er einer Einladung des späteren Landesbischofs Hirschler und übernahm im Stiftsbezirk Loccum mit Sitz in Münchehagen eine pfarramtliche Tätigkeit. Damit verbunden war ein Sonderauftrag im Bereich der kirchlichen Erwachsenenbildung. Und während dieser Zeit kam es im Rahmen eines „Brot für die Welt-Projektes“ zu einem ersten engen Kontakt mit einer afrikanischen Kirche und Gemeinde und es kam zu einer Reise nach Kamerun. Seit 1976 lebt ihr nun hier in Hermannsburg, wo Martin bis zu seiner frühzeitigen Pensionierung aus Gesundheitsgründen im Jahre 95 Mitarbeiter des ELM war, Referent für Partnerschaftsarbeit, d.h. zuständig für Beratung und Begleitung von Kirchenkreis- und Gemeindepartnerschaften mit Gemeinden und Kirchenkreisen in den Partnerkirchen in Übersee. Das hat er mit Leib und Seele betrieben. Ich hab’ es selbst mehrere Jahre ganz nah’ an seiner Seite miterlebt. Er hat diesem Arbeitszweig des Missionswerks mit seiner großen Fachkompetenz und mit seiner menschlichen Begabung, selbst ein wirklicher Partner, ein Freund und Bruder im christlichen Sinn zu sein, seinen Stempel aufgedrückt. Und er hat uns, die wir mit ihm zusammen gearbeitet haben, immer wieder neu herausgefordert und inspiriert.

Daneben ist sein Name, seine Person unlösbar verbunden mit der BI, der ehrenamtlichen Mitarbeit in der Bürgerinitiative Südheide und deren Aktivitäten zum Guten unserer Gemeinde Hermannsburg und weit darüber hinaus. In diesen Zusammenhang gehört auch die von ihm erstellte Computerdatei mit über 5000 Einzeldaten aus Flora und Fauna der Südheide und der Einsatz gegen die weitere Nutzung der Atomenergie.

Daß ihm am 1. März des vergangenen Jahres von unserem Landrat hier in Hermannsburg im Rathaus in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen wurde, das hat ihn überaus gefreut. „Bedenkt doch mal“, schreibt er. „Da hatte einer von Euch dies angestoßen. Ich hatte darüber eigentlich nur lachen können, denn: Wer bin ich? Aber nun war es so weit, und ich wurde, soweit ich weiß, der erste Naturschützer weit und breit, dem diese Ehre zuteil wurde. Eine Aufwertung dieser normalerweise wenig geachteten, oft heftig bekämpften und oft so frustrierenden Arbeit. Ich spürte: Hier werden alle die mit geehrt, die an meiner Seite waren und mich immer gehalten haben, und auch diejenigen alle, die an derselben Front standen, ohne daß wir uns kannten... Und hier wurden all „meine Kleinen“ mit geehrt: die Moose und Flechten, Pflanzen und Tiere aller Art, alles, was mir lieb und wert war...“.

„Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der Freiheit der Kinder Gottes.“ So sagt s der Apostel Paulus. So weit ist es noch nicht. Aber ein Abglanz dieser Freiheit wird überall dort sichtbar, wo ein Mensch sich einsetzt für das Leben, das Leben der ganzen Schöpfung, auch für das Leben der von Gott geschaffenen „Kleinen“, den Wesen, die Martin Dethlefs liebevoll „meine Kleinen“ nennt.

Meine Frage ist nun: Können wir das, ihr, seine Nächsten, und wir, die wir mit ihm eine Wegstrecke seines Lebens zurückgelegt haben, daß er nun der Knechtschaft der Vergänglichkeit entnommen, der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes eingutes Stück, ein großes Teil nähergetreten ist als wir, die wir hier leben? Können wir das denken und glauben, daß der Tod der Eingang, die von Gott selbst aufgestoßene und offengehaltene Tür zum Leben ist? Wir wissen ja nur zu gut, wie sehr unser Glaube immer wieder von Zweifeln angefochten ist, wie schwer es sein kann, sich trösten zu lassen mit Worten wie diesen: „Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung.“ „...kennt auch dich und hat dich lieb.“ Oft, so sagten Sie, Frau Dethlefs, habe Martin während der zurückliegenden Wochen gerade diese letzten beiden Zeilen des Liedes „Weißt du, wieviel Sternlein stehen...“ so vor sich hin gesummt. „...kennt auch dich und hat dich lieb.“ Wen mag er dabei vor Augen gehabt haben? Euch, seine Lieben, vielleicht die Enkelkinder Lena und Julia und das Enkelkind, des geboren werden soll? Sich selbst? Ich meine, die Antwort ist gar nicht entscheidend. Wir müssen sie nicht kennen. Aber daß es so ist, daß Gott euch kennt und euch liebt; auf dieses Wissen kommt es jetzt an. Denn: dieses Wissen kann wirklich trösten, auch wenn wir noch im Hoffen, nicht im Schauen leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

[Schöpfung gegen Atomenergie] [Eine inkompetente Provokation] [Krisengedichte um die Schöpfung] [BI Südheide] [Naturkundliche Veröffentlichungen] [Wertschätzen] [Durch Tränen....] [Bundesverdienstkreuz] [andere Ehrungen] [Letzter Brief] [In Memoriam] [Traueransprache] [Nachruf ELM] [Nachruf NABU] [Wir werden...] [Kontakt]